Drei kreative Kurzgeschichten, die zum Nachdenken anregen. Spontan entstanden bei einem aROund Think Tank pünktlich zum Beginn der Weihnachtsmarkt-Saison.
Riechst du das?
von Leonie
Riechst du das? Den Duft nach Zimt, Früchten, Zucker, gebratenen Würstchen und Fett? Naja, kannst du wohl nicht. Du bist nicht hier. Zumindest nicht mit mir. Also bin ich allein da. Jedes Jahr aufs Neue seitdem du gegangen bist.
Aber du hast es geliebt. Der Christkindlmarkt, das war deine Welt. Dein Highlight des Jahres. Und jetzt, jetzt stehe ich hier in der Kälte – allein. Einsam, irgendwie verloren.
Um mich herum überall Menschen. Freundesgruppen, Familien, Bekannte. Gruppen fremder Menschen, die sich bei einer Tasse Glühwein unterhalten und neue Kontakte knüpfen. Fröhlichkeit, Heiterkeit – das komplette Gegenteil von Einsamkeit. Aber genau das fühle ich jedes Jahr. Und trotzdem schlendere ich wieder einmal allein an den geschmückten Buden vorbei. Kaufe mir eine Tüte Mandeln und schaue mir selbstgefertigte Deko an. Schlängele mich durch die Menschenmenge durch. Es sind so viele Leute hier und doch bin ich allein. Doch fühle ich mich einsam. Denn du bist nicht hier.
Mittlerweile stehe ich vor einem Stand mit selbstgemachten Duftkerzen. Ich rede mit niemandem. Stehe da, nehme jede Kerze in die Hand. Riechst du das? Rosmarin, Apfel-Zimt, Vanille, Lavendel, Zitrone, Rosen… Das haben wir oft gemacht und jedes Mal haben wir eine mitgenommen. Ich nehme deine Lieblingskerze. Die mit Tannenduft. Mit der Kerze in der Hand gehe ich weiter. Weiter nach Hause. Mit den Gedanken bei dir.
Du mochtest ihn so sehr, den Christkindlmarkt. Ich mochte ihn wegen dir. Es war alles aufregend. Du kanntest jeden. Wenn nicht dann kanntest du sie danach. Aber jetzt? Jetzt bin ich groß. Du bist weg, stattdessen ist da eine erwachsene Person. Keine Ahnung, wer das genau ist. Ja klar, das bin ich, aber ein neues ich. Nicht mehr das Kind, das sich freut über den Schnee, über die Mandeln, die Getränke, die Musik und die Lichter, welche man schon von Weitem glitzern sieht. Jetzt ist da die Person, für die das alles zu viel ist. Und deshalb fühlt es sich einsam an. Aber auch schön, denn jedes Mal, da denke ich an dich.
An mein früheres ich. An mein inneres Kind.
Riechst du das?
von Melina
Riechst du das? Diesen süßen Duft von gebrannten Mandeln und Zuckerwatte der von links herüberweht. Von rechts kommt der Geruch von Glühwein und Punsch. Da vorne riecht es nach Suppe. Überall gibt es etwas anderes zu entdecken und egal wohin ich schaue überall sind Menschen.
So dicht gefüllt und geschäftig, sieht man die Wasserburger Altstadt nur zur Weihnachtszeit. Es scheint, als wären hier alle zusammen, als könne sich hier niemand einsam fühlen und doch stehe ich hier, inmitten all dieser Menschen und fühle mich einsam und ganz allein. Dabei bin ich doch gar nicht allein hier, im Gegenteil, unsere Gruppe hat 6 Personen. 5 Leute, die ich Freunde nenne, bei denen ich mich sonst nie einsam fühle. Oder doch?
In letzter Zeit weiß ich das gar nicht so genau. Ich weiß nur, dass ich mich jetzt einsam fühle. Man müsste meinen, bei 6 Leuten hat jeder wen zum Reden. Aber du, die du gerade an meiner Seite stehst, hörst einem anderen Gespräch zu und auch der Rest unserer Freunde beachtet mich nicht. Warum redest du nicht mit mir? Oder hörst mir wenigstens zu?
Seit wann ist das eigentlich so? Ich weiß es nicht, aber schön ist dieses Gefühl nicht…
In einem letzten verzweifelten Versuch deine Aufmerksamkeit zu bekommen, frage ich dich: „Riechst du das?“
Foto: Leonie
Riechst du das?
von Anne
„Riechst du das?“, fragt Lena. Ja, riechen schon, aber sehen kann ich nichts. Da sind viel zu viele Menschen vor den kleinen Holzhütten, aus denen verheißungsvoll goldenes Licht in die eisige Dezemberluft strömt und schon über den dicht gedrängten Köpfen vom Schwarz der Nacht geschluckt wird. Was unter dem goldenen Schein wohl hübsch angerichtet neugierig bestaunt wird? Handbemalte Töpferwaren, Strohsterne, Bio-Kerzen? Wenn es ein Stand für Punsch ist, für gebrannte Mandeln oder frische Waffeln, ja, dann atme ich den süßen Duft tief ein und kann mir die Leckereien bildlich vorstellen. Aber wie riechen gläserne Christbaumkugeln, warme Wollmützen und glänzender Schmuck? Und vor allem: Wie sehen sie aus?
Ich kann Lenas Begeisterung nicht teilen. Ja, gut. Die vielen Lichterketten an den Bäumen und Häusern sehen märchenhaft aus, jetzt, wo es so früh schon dunkel wird. Aber den Rest verstehe ich nicht. Der Zauber kommt bei mir nicht an. Es ist kalt. Der Boden ist nass, die Mülleimer laufen über und auf dem Boden kleben Ketchup beschmierte Servietten im Schneematsch.
Lena bestellt zweimal Punsch. Dann wird das hier also wohl noch etwas länger dauern. Die Tasse, die sie mir in die Hand drückt klebt und läuft über. Schnell trinke ich einen Schluck ab. Au, verflixt! Punsch im Winter im Freien ist nur während eines extrem geringen Zeitfensters genießbar. Erst verbrennt man sich die Zunge und kaum ein „All i want for Christmas später“ ist das süße Zeug auch schon zu kalt, um noch irgendwie zu schmecken. Voll konzentriert darauf, den einen Moment dazwischen nicht zu verpassen, habe ich mich längst aus dem Gespräch ausgeklinkt, das Lena lachend mit drei Typen an unserem Stehtisch angefangen hat. Es wird wohl nicht so wichtig sein.
Worüber soll man sich schon mit fremden Menschen auf einem Weihnachtsmarkt unterhalten? Anscheinend über Farben. Also, ob Weihnachten dieses Jahr weiß wird und Silvester spektakulär bunt am Himmel. Oder noch besser: nicht wirklich Silvester, sondern irgendein Tag vor-Silvester!
Die Idee, das neue Jahr zu feiern, wenn es noch gar nicht begonnen hat, toppt in ihrer Absurdität sogar noch das was ich hier gerade tue – mich im Gedrängel eines Weihnachtsmarktes einsam zu fühlen.
Kreatives Schreiben
Bei aROund probieren wir immer mal wieder Techniken zum Kreativen Schreiben aus. Meist entstehen unsere Texte in maximal 15 Minuten. Es macht Spaß beim Schreiben voll konzentriert zu sein und in einen Fluss zu kommen. Man schaut der Geschichte quasi beim Entstehen zu. Und nicht selten staunen wir hinterher, was dabei herausgekommen ist.
Die Vorgaben dieses Mal waren:
Setting: Weihnachtsmarkt
Genre: Reales oder Fiktion
Thema: Einsamkeit
Anfang: „Riechst du das?“
Wenn du auch Lust auf Kreatives Schreiben hast, dann mach doch gerne mal mit!
Und hier findest du weitere Texte, die so bei aROund entstanden sind:
Artikel von Hannah, Leonie, Anne von aROund, Melina, Kathi
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